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Bommer, Saskia: eins

Studie über gelenkte Wahrnehmung - Performance für vier oder sechs Personen


Oldörp, Andreas (Prof.)    Freie Kunst  Audiovisuelle Kunst/sound art  Diplom  2015 SS  

„Mit zunehmender gesellschaftlicher Abhängigkeit und räumlicher Nähe der Menschen zueinander werden die Beobachtung des Anderen und des eigenen Selbst zu zentralen Momenten im gesellschaftlichen Umgang." (Kleinspehn,1989, S. 126).“ Beobachtung und Selbstbeobachtung werden zu Agenten der Normierung und Kontrolle des Verhaltens und Aussehens. Affekte, die in diesem Kontext mit dem Sehen verbunden sein können, sind Neid und Scham. Ein Beispiel ist hier die bekannte Analyse des Blicks von Sartre, in der er das Gesehen-Werden mit dem Erleben von Unterwerfung, Objektivierung und Scham verbindet. (Sartre, 1943/1994)1

 

Der erste Eindruck zählt. Er bestimmt meistens unser Verhalten gegenüber einer Person. Wir stecken Menschen in Schubladen, begegnen ihnen mit Vorurteilen oder taxieren sie aufgrund ihres Aussehens. Mehr oder weniger diskret mustern wir Menschen von oben bis unten. Solcher Beobachtung selbst ausgeliefert, möchten wir nicht auf Anhieb entschlüsselt werden. Niemand möchte ein aufgeschlagenes Buch sein. Jeder will selbst entscheiden, wie er wahrgenommen wird. Also geben wir uns Mühe, uns von unserer besten Seite zu zeigen, die Stärken, das Schöne und Liebenswerte zur Schau zu tragen. Eine Fotografie von uns können wir bearbeiten, verschönern, mit einem Filter versehen. Wir können den aufgenommenen Augenblick manipulieren. In der Distanz und Anonymität sozialer Netzwerke präsentieren wir uns mit dem schönsten Profilbild, mit den coolsten Hobbys und dem phantasievollsten Essen, das wir gerade gekocht haben. Aber sind wir das wirklich? Wie viel haben wir mit unserer konstruierten, digitalen Identität gemeinsam?

 Wir laufen durch unser Leben und begegnen tagtäglich unzähligen Menschen. Gegenüber der Masse an Personen, die wir auf der Straße, in der Bibliothek, beim Arzt oder im Zug sehen, bleiben wir anonym. Wir schauen weg, wenn Blicke sich treffen, wir fühlen uns unbehaglich, wenn ein Fremder direkt neben uns sitzt und sonst niemand im Raum ist. Wir beobachten andere in aller Heimlichkeit. Was ist, wenn wir den Fokus ändern? Was passiert, wenn wir mit dem uns Fremden in Kontakt treten, wenn wir nicht wegschauen?

Kann man von außen beeinflussen, wie eine Person eine andere Person wahrnimmt? Kann man Gedanken und Blicke lenken? Kann man den Augenblick, das Hier und Jetzt, manipulieren?

 

Die Versuchsanordnung

Sechs Teilnehmer/innen erhalten Kopfhörer. Jede Person bekommt über ihren Kopfhörer von einer weiblichen Stimme Anweisungen. Die Stimme stellt auch Fragen. Die Personen werden von dieser Stimme durch den Raum geführt. Ihre Wahrnehmung des Raumes wird durch diese Stimme geleitet. Die Personen begegnen sich im Raum. Sie werden von der Stimme aufgefordert, sich gegenseitig zu betrachten, jemanden genau zu „scannen” und zu spüren, dass sie selbst ebenso betrachtet werden. Ich, die Autorin der Performance, „verführe” die Teilnehmenden mit Hilfe meiner Stimme, mit dem Raum und untereinander in Kontakt zu treten. Ich nehme sie mit auf eine Wahrnehmungsreise. Jede Person nimmt den Raum anders wahr. Die Teilnehmer/innen werden zu Performern. Sie betreten „Neuland”, erkunden einen fremden Raum. Sie gewinnen Erkenntnisse. Durch den Kontakt mit anderen auch Erkenntnisse über sich selbst.

Durch meinen künstlerischen Eingriff, die Lenkung der Teilnehmenden mit meiner Stimme, entsteht eine Art unsichtbares Kommunikationsgeflecht. Mein Eingriff bearbeitet nicht den physischen Raum, sondern den Wahrnehmungs- raum, weil ich mich direkt auf das Erleben der teilnehmenden Personen beziehe. Dabei versuche ich ihnen nahe zu kommen, ohne im Raum anwesend zu sein.

 



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