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Schmidt, Lucretia: rauschen


Hinsberg, Katharina (Prof.)    Kunsterziehung    Staatsexamen  2016/2017 WS  

 

Das Rauschen gilt in der Fotographie als zu vermeidender Störfaktor. Ein rauschendes Fernsehbild dient als Grund den Reparaturdienst zu rufen. Rauscht eine Tonaufnahme, ist sie nicht zu gebrauchen. Rauschen ist im Alltag ein unliebsames Phänomen, beruht es doch meist auf Fehlern in Systemen oder in der Informationsverarbeitung.

Begibt man sich nun in die Natur, ist das Rauschen der Blätter oder des Flusses etwas Schönes. Man verweilt und beobachtet die Blätter im Wind. Es gibt sowohl ein auditives, als auch ein visuelles Rauschen. Die Baumkronen wiegen sich im Wind, hunderte von Einzelblättern ergeben eine sich bewegende Masse. Jedes Einzelne bewegt sich etwas anders als das Nachbarblatt und trotzdem ergibt sie ein großes Ganzes. Die Konturen verwischen, flimmern oder verschwinden völlig. In einem meditativen, dennoch konzentrierten Zustand gibt man sich der Beobachtung dieses Rauschens hin. 

In meinen Zeichnungen nehme ich das optische Rauschen auf, doch bleibt das Gezeichnete an sich statisch, wie ein Standbild in einem Film oder einem Foto. Mit einem harten Bleistift setze ich geduldig viele kurze Striche nebeneinander. Jeder Strich steht für sich, sie unterscheiden sich wenig und doch sind sie minimal unterschiedlich. Die Leerstellen zwischen ihnen werden genauso wichtig wie die Striche selbst. Durch die Variation des Druckes mit dem Stift, verändern sich die Breite und Helligkeit der Striche. Erst in der Gesamtansicht erschließt sich das Bild. Der einzelne Strich verschwindet in einem Meer aus Strichen. Der Mensch erkennt in der Strichmasse einzelne Formen. Doch Teile des Bildes bleiben formlos, nicht ergreifbar. Man versucht sich die Fläche zu erschließen, Hinweise über den dargestellten Inhalt zu finden. Man kann sich an keiner Kontur orientieren, denn die Strichmasse ist konturlos, besteht aus ineinander übergehenden Binnenzeichnungen. Nach einer Weile akzeptiert man das Ungewisse in der rauschenden Fläche.

Dadurch, dass ich Räumlichkeit auf die Ebene projiziere und in der Zeichnung nicht an der naturalistischen Nachahmung der fotografierten Motive interessiert bin, negiere ich nicht die Zweidimensionalität des Bildes. Ich schätze die autonome Zeichnung, die sich von der bloßen Nachahmung der Wirklichkeit löst.

Meine Zeichnungen sind leise erzählte Geschichten ohne Interpretationsschlüssel. Sie werden von verschiedenen kunsthistorischen Strömungen beeinflusst. Die romantische Faszination für Natur als Sehnsuchtsort und Wiederhall der menschlichen Gefühlswelt, die vom Zen-Buddhismus angehauchte Beruhigung der Landschaft durch neblige Leerstellen oder das Nutzen von Fotographie als Vorlage für Zeichnungen, all das füge ich in meinen persönlichen, zeitlichen Kontext ein. Die Bilder sind ruhige, verträumte Gegenpole zur hektischen Gegenwart.

 

Abbildungen

Oben:

  • Dokumentationsfoto der Ausstellung Early Birds

Unten:

  • Waldweg, 2016, Zeichnung auf Papier, 150 x 100 cm
  • Laura, 2016, Zeichnung auf Papier, 59,4 x 42 cm
  • Nebelberg, 2017, Zeichnung auf Papier, 150 x 100 cm
  • Fluss, 2016, Zeichnung auf Papier, 59,4 x 42 cm

 

Alle Fotos: Mathias Aan’t Heck







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